„Hörspiel mit Klangfarben“

Frankfurter Rundschau vom 05.07.1995, von Stefan Schickhaus

Eine musikalische Führung durch Bachs „Kunst der Fuge“

Mensch, warum hast Du nur zwei Ohren, wenn doch Bach sein Fugen-Kunst-Exempel vierstimmig statuierte! Diesen anatomischen Mißstand wollte der Berliner Musiker und Kontrapunkt-Professor Heribert Breuer ausgleichen, indem er der einen Vierzahl eine zweite gegenüberstellte: Für vier Quartett-Formationen instrumentierte er Bachs „Kunst der Fuge“ und erreichte damit eine selten so gehörte Klarheit und formale Logik. Ein konzentriert analytisches Projekt in der Basilika von Kloster Eberbach, wie es für das doch eher bauchlastige Rheingau Musik Festival selten ist.

Zunächst stellten sich die vier Ensembles vor, Contrapunctus eins bis vier ihnen jeweils stilistisch zugeordnet: I — der klassisch ebenmäßige einem Streichquartett; II — der punktierte und synkopierte einem „musica contemporana“ bezeichneten, betont jazzigen Ensemble aus zwei Klavieren, Kontrabaß und Vibraphon; III — ganz chromatisch expressiv einer romantisch orientierten Bläserbesetzung und schließlich IV — archaisch streng und so für ein Quartett aus Blockflöten und Gamben bestimmt.

Vier polystilistische, klangfarbig schillernde Ensembles also, zudem ausnehmend gut besetzt. Neben Stimmführern der drei großen Berliner Orchester war ein Aufgebot renommierter Solisten versammelt: der Oboist Burkhard Glaetzner etwa, Siegfried Pank an der Gambe, Babette Haag als Perkussionistin, am Cembalo Armin Thalheim oder auch die beiden hervorragenden Blockflötisten und Mitglieder des Mainzer Ensembles „Affetti Musicali“, Michael Form und Robert Ehrlich. Zu Beginn also jede Gruppe eine Fuge, soweit war alles klar.

Dann aber beginnt das Hör-Spiel: Gegenfugen, Doppelfugen, Tripelfugen. Und hier wurde Breuers Instrumentierungs-Konzept von 1973 erst richtig schlüssig, denn mit zunehmender Komplexität wurden die Ensembles dichter miteinander verzahnt. Neue Themen, auch nur Umkehrungen oder Augmentationen wurden von den neuen Ensembles eingeführt, so daß das Ohr den Klang aufspalten, aus dem Ensemble-Ton den Stand der Fuge ablesen konnte: Klnagfarbe nicht als Gefälligkeit, sonder als Wegweiser durch ein polyphones Labyrinth.

Vom Duo Bach/Breuer wurde man geschult, selbst schwierigste Konstellationen hörtechnisch zu knacken. Contrapunctus 11 beispielsweise, so definiert: „Tripel-Fuge über das variierte Hauptthema (Ens. I) und über die Umkehrungen der beiden neuen Themen aus Op.8 (Ens. III und II) mit teilweise beibehaltenen chromatischen Gegenstimmen“ – zugegeben, nicht ohne das kontinuierliche Studium des Schaltplans im Programmheft. Dort eine exemplarische Dokumentation des zu Hörenden: wohl einmalig für den Rheingau-Standard.

Bachs Fugen-Lehrstück endete hier so konsequent, wie es aufgebaut wurde. Die letzte, unvollendete Fuge bricht kurz nach der Vereinigung aller Musiker zum Thema b-a-c-h ab, ein Themeneinsatz des Horns bleibt unerwidert im Raum stehen – eine phänomenale Wirkung.

„Hörspiel mit Klangfarben“

Frankfurter Rundschau vom 05.07.1995, von Stefan Schickhaus

Eine musikalische Führung durch Bachs „Kunst der Fuge“

Mensch, warum hast Du nur zwei Ohren, wenn doch Bach sein Fugen-Kunst-Exempel vierstimmig statuierte! Diesen anatomischen Mißstand wollte der Berliner Musiker und Kontrapunkt-Professor Heribert Breuer ausgleichen, indem er der einen Vierzahl eine zweite gegenüberstellte: Für vier Quartett-Formationen instrumentierte er Bachs „Kunst der Fuge“ und erreichte damit eine selten so gehörte Klarheit und formale Logik. Ein konzentriert analytisches Projekt in der Basilika von Kloster Eberbach, wie es für das doch eher bauchlastige Rheingau Musik Festival selten ist.

Zunächst stellten sich die vier Ensembles vor, Contrapunctus eins bis vier ihnen jeweils stilistisch zugeordnet: I — der klassisch ebenmäßige einem Streichquartett; II — der punktierte und synkopierte einem „musica contemporana“ bezeichneten, betont jazzigen Ensemble aus zwei Klavieren, Kontrabaß und Vibraphon; III — ganz chromatisch expressiv einer romantisch orientierten Bläserbesetzung und schließlich IV — archaisch streng und so für ein Quartett aus Blockflöten und Gamben bestimmt.

Vier polystilistische, klangfarbig schillernde Ensembles also, zudem ausnehmend gut besetzt. Neben Stimmführern der drei großen Berliner Orchester war ein Aufgebot renommierter Solisten versammelt: der Oboist Burkhard Glaetzner etwa, Siegfried Pank an der Gambe, Babette Haag als Perkussionistin, am Cembalo Armin Thalheim oder auch die beiden hervorragenden Blockflötisten und Mitglieder des Mainzer Ensembles „Affetti Musicali“, Michael Form und Robert Ehrlich. Zu Beginn also jede Gruppe eine Fuge, soweit war alles klar.

Dann aber beginnt das Hör-Spiel: Gegenfugen, Doppelfugen, Tripelfugen. Und hier wurde Breuers Instrumentierungs-Konzept von 1973 erst richtig schlüssig, denn mit zunehmender Komplexität wurden die Ensembles dichter miteinander verzahnt. Neue Themen, auch nur Umkehrungen oder Augmentationen wurden von den neuen Ensembles eingeführt, so daß das Ohr den Klang aufspalten, aus dem Ensemble-Ton den Stand der Fuge ablesen konnte: Klnagfarbe nicht als Gefälligkeit, sonder als Wegweiser durch ein polyphones Labyrinth.

Vom Duo Bach/Breuer wurde man geschult, selbst schwierigste Konstellationen hörtechnisch zu knacken. Contrapunctus 11 beispielsweise, so definiert: „Tripel-Fuge über das variierte Hauptthema (Ens. I) und über die Umkehrungen der beiden neuen Themen aus Op.8 (Ens. III und II) mit teilweise beibehaltenen chromatischen Gegenstimmen“ – zugegeben, nicht ohne das kontinuierliche Studium des Schaltplans im Programmheft. Dort eine exemplarische Dokumentation des zu Hörenden: wohl einmalig für den Rheingau-Standard.

Bachs Fugen-Lehrstück endete hier so konsequent, wie es aufgebaut wurde. Die letzte, unvollendete Fuge bricht kurz nach der Vereinigung aller Musiker zum Thema b-a-c-h ab, ein Themeneinsatz des Horns bleibt unerwidert im Raum stehen – eine phänomenale Wirkung.